Eine Spracherwerbstheorie ist eine Theorie, die versucht zu erklären, wie Sprachen erlernt werden. Im Bereich der Sprachwissenschaften gibt es verschiedene Ansätze, die der Veranlagung und den Umwelteinflüssen als Faktoren für das Erlernen von Sprachen unterschiedliche Bedeutung zumessen. Die wichtigsten Spracherwerbstheorien sind der Behaviorismus, der Nativismus, der Kognitivismus und der Interaktionismus.
Die Frage, ob innere oder äussere Faktoren bei der sprachlichen Entwicklung von Kindern eine grössere Rolle spielen, treibt Sprachwissenschaftler auf der ganzen Welt um. Untersucht werden einerseits die genetischen Voraussetzungen für den Spracherwerb und andererseits die Einflüsse von aussen, also die sprachlichen Vorbilder und die Förderung des Spracherwerbs. Bis heute ist nicht abschliessend geklärt, wie Kinder Sprache lernen. Die wichtigsten Spracherwerbstheorien werden in diesem Beitrag erläutert.
Definition von Spracherwerb
Mit Spracherwerb wird allgemein die Aneignung der Muttersprache durch ein Kind bezeichnet. Der Prozess der Sprachentwicklung geschieht unter natürlichen Bedingungen, bedarf also keines Unterrichts.
Spracherwerb durch Kinder
In der Regel beginnen Kinder im Alter von ein bis zwei Jahren zu sprechen. Obwohl ihre kognitive Entwicklung noch am Anfang steht, sind sie bereits in der Lage, grammatikalisch korrekte Sätze zu bilden. Heute wird davon ausgegangen, dass der Spracherwerb sowohl von sozialen und biologischen als auch von kognitiven Faktoren beeinflusst wird. Es gibt also einerseits eine genetische Anlage zum Erlernen von Sprachen, gleichzeitig wird der Prozess aber auch durch Familie und Kultur beeinflusst.
Die gängigsten Spracherwerbsmodelle
Zur Entstehung von Sprache gibt es verschiedene theoretische Ansätze, von denen sich einige gegenseitig ergänzen. Die vier gängigsten Spracherwerbstheorien sind der Behaviorismus, der Nativismus, der Kognitivismus und der Interaktionismus.
Die behavioristische Spracherwerbstheorie
Der Behaviorismus ist ein lerntheoretischer Ansatz aus dem 20. Jahrhundert, der alle Verhaltensänderungen auf Umweltreize zurückführt. Laut dieser Theorie, die massgeblich durch den Psychologen Burrhus F. Skinner geprägt wurde, lernen Kinder Sprache durch Imitation und Verstärkung. Indem die Umwelt auf „richtige“ Lautäusserungen mit Lob reagiert und „falschen“ Äusserungen gar keine oder negative Aufmerksamkeit schenkt, werden Kinder zum Spracherwerb konditioniert. Die behavioristische Spracherwerbstheorie von Skinner gilt inzwischen als überholt.
Die nativistische Spracherwerbstheorie
In kritischer Auseinandersetzung mit dem Behaviorismus entwickelte der Linguist und Philosoph Noam Chomsky in den 1960er Jahren den Nativismus. Er besagt, dass Kinder angeborene Fähigkeiten zum Spracherwerb haben. Des Weiteren seien kognitive Fähigkeiten zur Erkennung von sprachlichen Mustern und Erinnerungen nötig und soziale Fähigkeiten, um Bedürfnisse anderer Menschen zu verstehen. Chomsky sieht den Spracherwerb vor allem als Erwerb von Regeln. Durch reine Imitation könne die sprachliche Vielfalt nicht erfasst werden. Die Grundannahme des Nativismus, dass es eine genetische Veranlagung zum Spracherwerb gibt, gilt heute als erwiesen. Allerdings ist nicht ganz klar, worin genau diese Veranlagung besteht.
Die kognitive Spracherwerbstheorie
Laut dem Kognitivismus erfolgt der Spracherwerb nicht durch Umweltbedingungen, sondern über kognitive Prozesse. Begründer der Theorie war Anfang der 1920er Jahre der Schweizer Psychologe Jean Piaget, der die Sprachentwicklung als einen Teil der geistigen Entwicklung des Menschen sah. Voraussetzung für die kognitive Entwicklung von Kindern ist demnach die aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt, durch die ein Kind sein Wissen erweitert und einzuordnen lernt. Spracherwerb erfolgt also laut Piaget auf Basis von kognitiven Fähigkeiten, die durch konkrete Erfahrungen mit der Umwelt weiterentwickelt werden. Kritisiert wird am Kognitivismus heute der einseitige Fokus auf Informationsverarbeitungsprozesse während des Lernvorgangs.
Die interaktionistische Spracherwerbstheorie
Der Interaktionsmus sieht das soziale Umwelt als wichtigste Instanz für den Spracherwerb an. Als Gründungsvater der interaktionistischen Spracherwerbstheorie gilt Psychologe Jerome Bruner, der davon ausgeht, dass Spracherwerb und die Erkennung logischer Strukturen vor allem durch Interaktion mit Eltern und anderen Personen im engeren Umfeld des Kindes geschieht. Wichtige Voraussetzungen für eine gelungene sprachliche Entwicklung sind laut Bruner das angeborene Spracherwerbssystem (Nativismus) und kognitive Fähigkeiten (Kognitivismus), auch wenn das soziale Umfeld die wichtigste Rolle in dem Prozess einnimmt.
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FAQ: Weitere Fragen zu Spracherwerbstheorie
Welche Spracherwerbstheorien gibt es?
Es gibt viele Theorien, die sich mit dem Erwerb von Sprache auseinandersetzen. Die wichtigsten sind Behaviorismus, Nativismus, Kognitivismus und Interaktionismus.
Was ist der Spracherwerb?
Spracherwerb bezeichnet den ungesteuerten Prozess der Aneignung einer Sprache durch ein Kind.
Wie läuft der Spracherwerb ab?
Kinder durchlaufen mehrere Stufen des Spracherwerbs, die an dieser Stelle nur kurz erwähnt werden. Bereits im Bauch der Mutter nimmt der Fötus die Stimme der Mutter wahr. Nach der Geburt lernt das Kleinkind zunächst Laute, die im Laufe der Zeit zu ganzen Wörtern werden. Im Alter von 18 bis 24 Monaten beginnt es, zunächst zwei und später mehr Wörter zu Sätzen zu bilden, da es inzwischen erkannt hat, dass Wörter und Sätze einer bestimmten Grammatik zugrunde liegen. Mit circa drei Jahren können die meisten Kinder vollständige Sätze bilden und verbessern ihre Fähigkeiten in den Folgejahren.
Wann ist der Spracherwerb abgeschlossen?
Laut Spracherwerbsforschung ist der Prozess der Sprachentwicklung mit circa sieben Jahren abgeschlossen.
Welche Faktoren fördern den Spracherwerb?
Zuwendung, Interaktion und Geduld sind wichtige Faktoren, wenn es darum geht, ein Kind bei seiner sprachlichen Entwicklung zu fördern.
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